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SAMMLUNG KLAUS GIESEN
Der Sammler Klaus Giesen
Die deutschen Münzen der ottonisch-salischen Kaiserzeit (919-1125) stellen ein exklusives Sammelgebiet der
mittelalterlichen Numismatik dar – und dies völlig zu Recht: Mit mehr als 150 Münzstätten auf dem Gebiet des
ostfränkisch-deutschen Reiches bieten sie Sammlern und Forschern gleichermaßen eine große Bandbreite von mehreren
Tausend verschiedener Typen aus einer Vielzahl von Regionen. Sie sind zwar selten größer als 2 Zentimeter im
Durchmesser und wiegen nur 1 bis 2 Gramm, die zahlreichen Schatzfunde in den skandinavischen und slawischen
Gebieten der Wikingerzeit beweisen aber die herausragende Bedeutung dieser Münzen für den Fernhandel im Nord- und
Ostseeraum des Frühmittelalters.
Was aber gibt für einen Münzsammler den Ausschlag, sich gerade auf dieses Gebiet zu spezialisieren? Diese Frage lässt sich
überzeugend anhand des vorliegenden Katalogs beantworten: Nach der Spezialsammlung von Dr. Bernhard Schulte
(Auktion Münzen und Medaillen GmbH 28, 30./31. Oktober 2008) handelt es sich um eine der umfangreichsten
Zusammenstellungen ottonisch-salischer Münzen in den letzten Jahrzehnten. Sie führt mit diesem Katalog die reichhaltige
Fülle des Materials und die immense Vielfalt der Münzbilder erstmals in großformatigen Farbbildern jedermann vor
Augen. Damit stellt der Katalog gleichzeitig eine praktische Ergänzung zu Einführungspublikationen wie der „Deutschen
Münzgeschichte von der späten Karolingerzeit bis zum Ende der Salier“ (Sigmaringen 1991) von Bernd Kluge dar. Die von
Klaus Giesen mit großer Leidenschaft und hoher Fachkompetenz zusammengetragene Sammlung von mehr als 550
Münzen des 10. und 11. Jahrhunderts, angereichert mit aktueller Forschungsliteratur und ausführlichen Kommentaren,
wird damit in zwei Auktionen der Frankfurter Münzhandlung mit Sicherheit neue Liebhaber finden.
Klaus Giesen (geb. 1934) ist – was man ausgehend von Qualität und Umfang der Sammlung nie vermuten würde – ein
„numismatisch Spätberufener“: Systematisch fing er mit dem Münzensammeln erst nach seinem Ruhestand im Jahre 1999
an. Nach seinem Studium an der TU Berlin verbrachte er den Großteil seines Berufslebens in der chemischen Industrie bei
einem Unternehmen im Kreis Diepholz. Aus regionalem Geschichtsinteresse beschäftigte er sich dort mit den
spätmittelalterlichen Münzen von Diepholz und sammelte bereits vor seinem Ruhestand umfangreiches Material und
Literatur zu deren Prägung. Die Ergebnisse flossen in die Publikation „Die Münzen von Diepholz“ (2001) ein, der nur
kurze Zeit später „Die Münzen von Hoya“ (2004) folgte – beides bis heute Standardzitierwerke für Münzinteressierte, für
die er 2013 den Eligius-Preis erhielt.
Seine Liebe zu den ottonisch-salischen Münzen ist allerdings weitaus älter: Sie begann 1978 mit dem Kauf der ersten
Münze seines späteren Hauptsammel- und Forschungsgebietes bei einem Osnabrücker Münzhändler. Es handelte sich um
einen Dortmunder Pfennig Ottos III. (983–1002) mit der dreizeiligen Inschrift THERT / + / MANNI auf der Rückseite
(Berghaus, Die Münzen von Dortmund, S. 31, Nr. 2 a – Katalognummer 307). Zunächst blieb jedoch aus beruflichen
Gründen lange keine Zeit, sich intensiver damit zu beschäftigen. Erst nach 1999, rund 20 Jahre später, konnte er das in dem
damaligen Gespräch mit dem Münzhändler geweckte Interesse für ottonisch-salische Münzen vertiefen und zielstrebig bis
zur aktuellen Sammlung ausbauen.
Für Klaus Giesen erzählen die Münzen weitaus mehr über die Geschichte der Ottonen und Salier als die vergleichsweise
spärlich vorhandenen Schriftquellen aus jener Zeit. Durch die Entdeckung immer neuer Typen und die manches Mal
rätselhaft erscheinenden Münzbilder boten sich ihm Anknüpfungspunkte für weitreichende historisch-numismatische
Untersuchungen. Zwischen 2012 und 2019 hat er einige bemerkenswerte Aufsätze zum Thema verfasst, von denen
insbesondere die Untersuchungen zu den Hälblingen (Obolen) der Otto-Adelheid-Pfennige, den EILHARD-Denaren
und der Münzstätte Remagen im 11. Jahrhundert auch in Fachkreisen große Beachtung gefunden haben. Persönlich
faszinieren ihn vor allem die Produkte der Münzstätte Duisburg – dies wegen ihrer besonders qualitätsvollen Prägung und
weil es sich um Münzen aus seinem Geburtsort handelt.
Klaus Giesen lag immer auch die Förderung des numismatischen Nachwuchses sehr am Herzen. Im Dezember 2019
schenkte er eine Sammlung von knapp 800 Münzen aus aller Welt zu Unterrichtszwecken an das Gymnasium in Damme.
Die von vielen beruflichen und privaten Reisen mitgebrachten ausländischen Münzen wurden ergänzt durch etwa 130
deutsche Münzen, anhand derer sich der Flickenteppich der Kleinstaaterei vor 1871 nun besonders anschaulich den
Schüler*innen näherbringen lässt. In zahlreichen Lehrveranstaltungen an den Universitäten von Münster und Osnabrück
war er ein gern gesehener Gast, der den Studierenden mit Literaturhinweisen oder Aufsatzkopien unter die Arme griff und
Stücke aus seiner Sammlung als Anschauungsmaterial mitbrachte … die Faszination des Originals weckt eben immer noch
die größte Begeisterung.
Auch auf so manchem Münzsammlertreffen ist Klaus Giesen ein willkommener Ratgeber in Fragen mittelalterlicher
Münzprägung und westfälischen Münzsammlertums. Zu den Münzfreunden für Westfalen und Nachbargebiete kam er
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