Page 11 - Frankfurter Münzhandlung Auktion 155
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SAMMLUNG KLAUS GIESEN


                  Der Sammler Klaus Giesen
                  Die  deutschen Münzen der ottonisch-salischen Kaiserzeit (919-1125) stellen ein exklusives Sammelgebiet der
                  mittelalterlichen Numismatik dar – und dies völlig zu Recht: Mit mehr als 150 Münzstätten auf dem Gebiet des
                  ostfränkisch-deutschen Reiches bieten sie Sammlern und Forschern gleichermaßen eine große Bandbreite von mehreren
                  Tausend verschiedener Typen aus einer  Vielzahl von Regionen. Sie sind zwar selten größer als 2  Zentimeter  im
                  Durchmesser und wiegen nur 1 bis 2 Gramm, die zahlreichen  Schatzfunde in den skandinavischen und slawischen
                  Gebieten der Wikingerzeit beweisen aber die herausragende Bedeutung dieser Münzen für den Fernhandel im Nord- und
                  Ostseeraum des Frühmittelalters.
                  Was aber gibt für einen Münzsammler den Ausschlag, sich gerade auf dieses Gebiet zu spezialisieren? Diese Frage lässt sich
                  überzeugend  anhand des vorliegenden Katalogs beantworten: Nach der Spezialsammlung von Dr. Bernhard Schulte
                  (Auktion Münzen und Medaillen GmbH 28, 30./31. Oktober 2008) handelt es sich um  eine  der  umfangreichsten
                  Zusammenstellungen ottonisch-salischer Münzen in den letzten Jahrzehnten. Sie führt mit diesem Katalog die reichhaltige
                  Fülle des Materials und die immense Vielfalt der Münzbilder  erstmals  in großformatigen Farbbildern jedermann vor
                  Augen. Damit stellt der Katalog gleichzeitig eine praktische Ergänzung zu Einführungspublikationen wie der „Deutschen
                  Münzgeschichte von der späten Karolingerzeit bis zum Ende der Salier“ (Sigmaringen 1991) von Bernd Kluge dar. Die von
                  Klaus Giesen mit großer Leidenschaft  und  hoher  Fachkompetenz zusammengetragene Sammlung von mehr als 550
                  Münzen des 10. und 11. Jahrhunderts, angereichert mit aktueller Forschungsliteratur und ausführlichen Kommentaren,
                  wird damit in zwei Auktionen der Frankfurter Münzhandlung mit Sicherheit neue Liebhaber finden.
                  Klaus Giesen (geb. 1934) ist – was man ausgehend von Qualität und Umfang der Sammlung nie vermuten würde – ein
                  „numismatisch Spätberufener“: Systematisch fing er mit dem Münzensammeln erst nach seinem Ruhestand im Jahre 1999
                  an. Nach seinem Studium an der TU Berlin verbrachte er den Großteil seines Berufslebens in der chemischen Industrie bei
                  einem Unternehmen im Kreis Diepholz. Aus regionalem Geschichtsinteresse beschäftigte er sich dort mit  den
                  spätmittelalterlichen Münzen von Diepholz und sammelte bereits  vor seinem Ruhestand umfangreiches Material und
                  Literatur zu deren Prägung. Die Ergebnisse flossen in die Publikation „Die Münzen von Diepholz“ (2001) ein, der nur
                  kurze Zeit später „Die Münzen von Hoya“ (2004) folgte – beides bis heute Standardzitierwerke für Münzinteressierte, für
                  die er 2013 den Eligius-Preis erhielt.
                  Seine  Liebe  zu  den  ottonisch-salischen  Münzen  ist  allerdings  weitaus  älter: Sie begann 1978 mit dem Kauf der ersten
                  Münze seines späteren Hauptsammel- und Forschungsgebietes bei einem Osnabrücker Münzhändler. Es handelte sich um
                  einen Dortmunder Pfennig Ottos III. (983–1002) mit der dreizeiligen Inschrift THERT / + / MANNI auf der Rückseite
                  (Berghaus, Die Münzen von Dortmund, S. 31, Nr. 2 a – Katalognummer 307). Zunächst blieb jedoch aus beruflichen
                  Gründen lange keine Zeit, sich intensiver damit zu beschäftigen. Erst nach 1999, rund 20 Jahre später, konnte er das in dem
                  damaligen Gespräch mit dem Münzhändler geweckte Interesse für ottonisch-salische Münzen vertiefen und zielstrebig bis
                  zur aktuellen Sammlung ausbauen.
                  Für Klaus Giesen erzählen die Münzen weitaus mehr über die Geschichte der Ottonen und Salier als die vergleichsweise
                  spärlich  vorhandenen Schriftquellen aus jener Zeit. Durch die Entdeckung immer neuer Typen und die manches Mal
                  rätselhaft erscheinenden Münzbilder boten sich ihm Anknüpfungspunkte für  weitreichende historisch-numismatische
                  Untersuchungen. Zwischen 2012 und 2019 hat er einige bemerkenswerte Aufsätze  zum  Thema  verfasst,  von  denen
                  insbesondere die Untersuchungen zu  den  Hälblingen  (Obolen) der Otto-Adelheid-Pfennige, den EILHARD-Denaren
                  und der Münzstätte Remagen im 11. Jahrhundert auch in  Fachkreisen  große  Beachtung  gefunden  haben.  Persönlich
                  faszinieren ihn vor allem die Produkte der Münzstätte Duisburg – dies wegen ihrer besonders qualitätsvollen Prägung und
                  weil es sich um Münzen aus seinem Geburtsort handelt.
                  Klaus Giesen lag immer auch die Förderung des numismatischen  Nachwuchses sehr am Herzen. Im Dezember 2019
                  schenkte er eine Sammlung von knapp 800 Münzen aus aller Welt zu Unterrichtszwecken an das Gymnasium in Damme.
                  Die von vielen beruflichen und privaten Reisen mitgebrachten ausländischen Münzen wurden ergänzt durch etwa 130
                  deutsche  Münzen,  anhand  derer  sich der Flickenteppich der Kleinstaaterei vor 1871 nun besonders anschaulich den
                  Schüler*innen näherbringen lässt. In zahlreichen Lehrveranstaltungen an den Universitäten von Münster und Osnabrück
                  war er ein gern gesehener Gast, der den Studierenden mit Literaturhinweisen oder Aufsatzkopien unter die Arme griff und
                  Stücke aus seiner Sammlung als Anschauungsmaterial mitbrachte … die Faszination des Originals weckt eben immer noch
                  die größte Begeisterung.
                  Auch auf so manchem Münzsammlertreffen ist Klaus Giesen  ein willkommener Ratgeber in Fragen mittelalterlicher
                  Münzprägung und westfälischen Münzsammlertums. Zu den Münzfreunden für Westfalen und Nachbargebiete kam er




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